Kommunalforum 2017
„Teilenteignung der Sparer“ stoppen - Kommunalforum der Sparkassen-Finanzgruppe diskutiert Auswirkungen der Nullzins-Politik.
Kommunalforum der Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württemberg am 12. Oktober 2017 im Kongresshaus Baden-Baden
Seit drei Jahren sind die Zinsen im Euroraum faktisch abgeschafft. Während Kreditnehmer profitieren, werden die negativen Auswirkungen dieser Nullzins-Politik immer deutlicher sichtbar. Die Folgen der „zinslosen Zeiten“ standen im Mittelpunkt des Kommunalforums der Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württemberg..
Über 500 Vertreterinnen und Vertreter von Landkreisen, Städten, Gemeinden und den 50 Sparkassen in Baden-Württemberg kamen dazu an diesem Donnerstag (12.Oktober) nach Baden-Baden ins Kongresshaus. Darunter waren unter anderem mehrere Landräte, 20 Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister sowie mehr als 230 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Hinzu kamen Kämmerer, Erste Landesbeamte und viele Vorstände der Sparkassen.
In seiner Begrüßung schilderte Sparkassenpräsident Peter Schneider die Perspektive der Sparkassen: „Wir sind die Kreditinstitute der Kommunen und Landkreise. Daher ist für uns klar, dass wir sie, wo immer es für die Sparkassen möglich ist, unterstützen“, so Schneider. Die Nullzinspolitik der EZB treffe auch die Kommunen, etwa über sinkende Renditen der kommunalen Versorgungskassen, was in Zukunft zwangsläufig höherer Beiträge zur Folge haben wird.
Klare Worte fand Schneider für die Politik der Europäischen Zentralbank: „Die EZB hat sich vergaloppiert und vor den Karren der Politik in Europa spannen lassen.“
Ebenso stark kritisierte er die Vorschläge der EU-Kommission für eine weitere Vergemeinschaftung der europäischen Einlagensicherung über die bereits bestehenden einheitlichen Regeln hinaus. „Brüssel versucht hier alles, damit wir ihnen auf den Leim gehen“, so Schneider. „Dieser Tage mit einer Rückversicherung, die gar keine wäre, sondern eher ein Zwangskredit. Wir werden daher jeden noch so verklausulierten Vorschlag genau prüfen. Sobald eine Vergemeinschaftung von sehr unterschiedlichen Risiken dahinter steckt, wird das auf unser klares Nein stoßen“, kündigte Schneider an.
Die Kommunalfinanzierung war das Thema von Julian Württenberger, Ministerialdirektor im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration, der für Innenminister Thomas Strobl eingesprungen war. Württenberger, in dessen Ministerium auch die Sparkassenaufsicht angesiedelt ist, hob die wichtige gesellschaftspolitische Rolle der Sparkassen hervor. Mit Blick auf die zahlreichen Vertreter der Kommunen betonte er: „Uns geht es gut. Wir schlafen nicht schlecht. Die Kommunen in Baden-Württemberg sind in einem gesunden Zustand.“
Der Präsident des Städtetags Baden-Württemberg, Freiburgs Oberbürgermeister Dr. Dieter Salomon, zeichnete ein differenziertes Bild der Lage. So profitiere zum Beispiel Freiburg, das hoch verschuldet ist, von den niedrigen Zinsen. Er schilderte den Zwiespalt, zwischen Schuldenabbau und der Möglichkeit durch günstige Kredite wichtige Investitionen voranzutreiben.
Baden-Badens Oberbürgermeisterin Margret Mergen warnte: „Die größten Fehler werden gemacht, wenn es den Kommunen gut geht“. Aber auch sie sprach sich dafür aus, die Niedrigzinsphase zu nutzen, um wichtige Sanierungsarbeiten zu finanzieren.
Neben dem Präsidenten des Städtetags kamen zum Kommunalforum auch der Präsident des Gemeindetags, Roger Kehle, und der neue Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, Dr. Alexis von Komorowski. Roger Kehle bestätigte grundsätzlich die zufriedenstellende finanzielle Situation, kritisierte jedoch, dass die Städte und Gemeinden ständig neue Aufgaben aufgebürdet bekommen, für die eigentlich der Bund oder die Länder zuständig seien. Mit kritischem Blick auf das Land gab er zu Bedenken, dass die jetzt angekündigte Summe der Schuldentilgung in Höhe von rund 250 Millionen Euro exakt dem Betrag entspräche, den das Land bei den Kommunen abziehe. „Wir würden deshalb uns gerne daneben stellen, wenn dem Land auf die Schulter geklopft wird.“
Dr. Alexis von Komorowski forderte eine Bundesratsinitiative, um die Landkreise an der Umsatzsteuer zu beteiligen. Er mahnte auch an, dass der Bund nur bis 2018 Leistungen für geduldete Flüchtlinge zugesagt habe. Hier müsse rasch eine neue Vereinbarung erfolgen, denn dies sei eine Aufgabe des Landes und des Bundes. „Sonst fallen wir in ein finanzielles Loch“, so der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages
Aus unterschiedlichen Perspektiven erläuterten drei Wissenschaftler das Thema. Der ehemalige Präsident des Münchner ifo-Instituts,Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, beschrieb in seinem Vortrag die dramatischen Folgen der EZB-Politik: „Die deutsche Volkswirtschaft einschließlich aller privaten und staatlichen Sektoren hat durch die niedrigen Zinsen im Vergleich zu den Zinsen aus der Zeit vor der Krise (2007) bereits 450 Milliarden Euro verloren, weil sie das zweitgrößte Nettogläubigerland der Welt ist. Aus deutscher Sicht ist es deshalb dringend geboten, dass die Zentralbanken der Welt aus der Niedrigzinspolitik aussteigen“, so Prof. Sinn. „Diese Politik kommt einer Teilenteignung der Sparer gleich, von denen es in Deutschland besonders viele gibt.“
Einen Blick über Europa hinaus ermöglichte neben Prof. Sinn auch der Chefvolkswirt der DekaBank, Dr. Ulrich Kater, in seinem Vortrag: „In diesem Jahr setzten sich die politischen Turbulenzen fort, die im Vorjahr mit Brexit und dem Regierungswechsel in den USA bereits begonnen hatten. Wirtschaft und Finanzmärkte trotzen jedoch hartnäckig allen politischen Verwerfungen. Solange die Märkte weltweit offen bleiben, erweist sich die Weltwirtschaft als sehr robust“, so Dr. Ulrich Kater. „Bei den Nullzinsen nur auf die EZB zu schauen, greift zu kurz. Es sind tiefer liegende Gründe, die die Zinsen eingefroren haben. Demografisch bedingt steigt das Sparvolumen in der Welt stark an und dieser Zustand wird noch Jahre anhalten.“
Der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen legte in seinem Vortrag einen Focus auf die Staatsfinanzierung: „Wer kauft eigentlich Staatsanleihen zum Anleihezinssatz von null Prozent?“ fragte er „Es sind vor allem die Versicherer und alle Institutionen, die für die Altersvorsorge arbeiten - und damit fast alle Versicherungsnehmer. Sie müssen das sogar tun, weil sie durch das Versicherungsaufsichtsgesetz dazu gezwungen sind. Dadurch schafft sich der Staat seinen eigenen Absatzmarkt für seine Verschuldung.“ Die notwendige breite Streuung der Anlagen, die zum Beispiel beim riesigen Staatsfonds in Norwegen völlig selbstverständlich sei, fehle dadurch in Deutschland.