Kommunalforum 2013
"Gesundheitsversorgung in der Region - Spagat zwischen Kostendruck und Nähe zum Menschen" - Kommunalforum in Baden-Baden.
"Nichts wird so emotional diskutiert wie Fragen rund um die Gesundheit"
von Katrin Lebherz
Wie eine angemessene medizinische Versorgung in der Fläche künftig gewährleistet werden kann, wurde beim diesjährigen Kommunalforum der Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württemberg diskutiert. Unter dem Motto "Gesundheitsversorgung in der Region - Spagat zwischen Kostendruck und Nähe zum Menschen" haben rund 300 Vertreter aus dem Sparkassenverbund, der Kommunen, Politik und dem Gesundheitswesen in Baden-Baden spannende Vorträge und Diskussionen verfolgt.
Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Die zunehmende Alterung der Gesellschaft erfordert mehr denn je eine flächendeckende Versorgung mit medizinischen Leistungen. Viele Krankenhäuser - vor allem im ländlichen Raum - sind unterfinanziert und der Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich nimmt zu. Daneben entscheiden sich immer mehr Ärzte für die urbanen Ballungsräume und gegen den Ländlichen Raum. Obwohl die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland sinkt und auch die Verweildauer rückläufig ist, sind die Ausgaben der Einrichtungen - zum Beispiel aufgrund von erhöhten Personalkosten - deutlich gestiegen.
"Als Sparkassen können wir den Spagat zwischen Kostendruck und Nähe zu den Menschen gut nachvollziehen", sagte Sparkassenpräsident Peter Schneider in seiner Begrüßung. Mit rund 2.500 Geschäftsstellen alleine in Baden-Württemberg erreichen die Sparkassen nicht nur Kunden in allen Landesteilen, sondern decken auch deren verschiedene Bedürfnisse ab. Trotz des dadurch entstehenden Kostendrucks sind sie erfolgreich. "Die Sparkassen dienen insofern als gutes Beispiel für ein erfolgreiches regionales und flächendeckendes Geschäftsmodell", sagte Schneider.
Herr Schneider verwies auf den Beitrag, den die Sparkassen heute schon zur Erhaltung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung leisten. Selbständigen Ärzten, Pflegern oder Hebammen stehen verschiedene Produkte zur Verfügung, daneben unterstützen die Sparkassen mit der Initiative "Perspektive Hausarzt Baden-Württemberg" viele Aktivitäten zur Förderung der hausärztlichen Versorgung und bieten eine umfassende Beratung für Krankenhäuser an. Schneider: "Die Gesundheitsbranche bedarf einer organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Neustrukturierung. Mit den Sparkassen hat sie zuverlässige Finanzpartner an ihrer Seite."
Maßgeblich für eine Neustrukturierung des Gesundheitswesens sind unter anderem die politischen Rahmenbedingungen. Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Gesundheit, Annette Widmann-Mauz, verwies in ihrem Vortrag auf die Weichen, die die Bundesregierung in den vergangenen Jahren hierzu gestellt hat. So komme der Bund seiner Verpflichtung nach, für eine angemessene und verlässliche finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser zu sorgen. Wesentliche Aspekte seien zudem die Gewährleistung von Wirtschaftlichkeit und Qualität, die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen und des Honorarsystems sowie die Erweiterung von Wettbewerbsspielräumen. Aus diesem Grund wurden verschiedene Gesetze verabschiedet, beispielsweise das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz.
Frau Widmann-Mauz machte jedoch deutlich, dass die Krankenhäuser auch in den nächsten Jahren eine Finanzierungssicherheit benötigen: "Eine nachhaltige Stabilisierung der Krankenhauskosten gelingt nur, wenn auch die Länder ihren Anteil leisten. Deshalb ist es unerlässlich, dass wir alle gemeinsam die Rahmenbedingungen weiter überprüfen. Dies geht nur gemeinsam mit Bund und den Ländern."
Warum Krankenhäuser vor zunehmenden finanziellen Problemen stehen, stellte Prof. Dr. Günter Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomik dar. So suchen Patienten heute oftmals bereits in einem ersten Schritt Spezialärzte und -kliniken auf, anstatt sich zuerst in einem örtlichen allgemein versorgenden Krankenhaus behandeln zu lassen. Dadurch komme es in kleinen Häusern zu einem erheblichen Betten-Leerstand. "Die bisherige Hierarchie, die vorsieht, erst einmal die Krankenhäuser vor Ort aufzusuchen, ist so nicht mehr zutreffend. Die Politik aber plant noch immer an dieser Realität vorbei." Dies gelte auch für die festgelegten Preise für jede Behandlung, die bundesweit einheitlich geregelt sind - unabhängig von der Größe der Häuser. "Gerade kleinere Häuser geraten bei dieser Regelung ins Hintertreffen", so Neubauer.
Ein Problem aus Sicht des Ökonomen ist zudem die hohe Zahl der Krankenhausfälle, die in Deutschland rund 40 Prozent höher ist als in Schweden oder Finnland. "Wir haben uns angewöhnt, lieber zu operieren anstatt Bewegungsgewohnheiten zu ändern. Das ist zwar bequem, aber irgendwann nicht mehr finanzierbar."
Gerade Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft scheint der notwendige Umbruch schwerer zu fallen. Nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden der Sana Klinik AG, Dr. Michael Philippi, liegt dies unter anderem an der Größe des Gesamtunternehmens, von denen eine Klinikkette wie Sana im Unterschied zu kleineren, lokalen Trägern im Wettbewerb profitiert. Um das Gesundheitssystem weiter aufrecht zu erhalten, ist es für Michael Philippi dringend erforderlich, die Vernetzung zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten zu intensivieren. Auch wegen der demografischen Entwicklung und des Ärztemangels sei die Versorgung in strukturschwachen Regionen ohne eine solche sinnvolle Kooperation langfristig nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Der Vorsitzende der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft, Thomas Reumann, sieht Bund und Länder in der Pflicht. Gut die Hälfte aller Kliniken im Land schreibe rote Zahlen. "Wenn Bund und Länder ihren Verpflichtungen nachkommen und beispielsweise den riesigen Investitionsstau auflösen würden, wären viele Probleme kleiner", so Reumann, der zugleich auch Landrat im Landkreis Reutlingen ist. In dieser Funktion sei eine Privatisierung kommunaler Krankenhäuser keine Alternative. "Nichts wird so emotional diskutiert wie Fragen rund um die Gesundheit", sagte Reumann, der die Bürger in seinem Landkreis mithilfe von Informationsveranstaltungen und einer Bürgerwerkstatt in den Prozess der Umstrukturierungen der Krankenhauslandschaft einbezieht.
Aus Sicht von Dr. Berthold Dietsche ist eine Kooperation zwischen ärztlichen Verbänden, Kliniken und kommunalen Vertretern dringend erforderlich. Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg appellierte an alle Seiten, gezielt gemeinsam neue Innovationen und Finanzierungsmodelle zu entwickeln. Dietsche warnte zugleich vor einem Kollaps bei der hausärztlichen Versorgung im Land. So seien alleine rund 700 Hausärzte in Baden-Württemberg älter als 66 Jahre alt. "Rund 500 von ihnen werden bald in Ruhestand gehen, und heute sind bereits rund 400 Stellen vorwiegend im ländlichen Raum nicht besetzt. Das zeigt einmal mehr, dass hier ein massiver Handlungsbedarf besteht."
Unter dem Motto "Gesund ist eine Person, die nicht ausreichend untersucht wurde" ging der Psychologe und Autor Dr. Manfred Lütz in seinem Vortrag humorvoll gegen die Ersatzreligion "Gesundheitswahn" vor und setzte ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit dagegen: Gesundheit, die Spaß macht und Lust am Leben. Mit dem Streben nach Fitness und gegen das Altern gebe es in Deutschland mittlerweile eine neue Religion, die "Gesundheitsreligion". Aus Sicht des Theologen und Arztes müsse etwas gegen diesen übertriebenen Gesundheitswahn getan werden. Gesundheit sei ein hohes Gut, nicht aber das höchste Gut. Dies müsse auch in der Politik ankommen - erst durch eine nüchterne und realistische Abwägung des hohen, aber nicht höchsten Gutes Gesundheit, würde eine echte Gesundheitspolitik wieder möglich.
Fotos: Wolfgang List