Kommunalforum 2016
Die Integration der Flüchtlinge ist eine Aufgabe historischen Ausmaßes.
Kommunalforum der Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württembergam 11. Oktober 2016 im Kongresshaus Baden-Baden
von Brigitte Fries
Das Kommunalforum der Sparkassen-Finanzgruppe feierte 2016 ein kleines Jubiläum: Bereits zum 20. Mal fand das Forum im Kongresshaus in Baden-Baden statt. Mit rund 500 Besuchern war die Veranstaltung mit dem Titel „Integration – Chance und Herausforderung für Städte und Gemeinden” sehr gut besucht – darunter viele Landräte, Oberbürgermeister und über 200 Bürgermeister sowie viele Vertreter der Sparkassen.
„In dem Ausnahmezustand, den im vergangenen Jahr durch die Flüchtlingswelle erlebt haben, standen die Sparkassen in Baden-Württemberg in einer besonderen Pflicht und Verantwortung“, sagte Sparkassenpräsident Peter Schneider in seiner Begrüßung. „Für die Kommunen und Landkreise sind wir erster Ansprechpartner, wenn es um die Bargeldversorgung und um Girokonten für Flüchtlinge geht.“ Rund 80 Prozent der Konten seien bei den Sparkassen eingerichtet worden.
Um den Andrang zu bewältigen, richteten einige Institute Sonderöffnungszeiten oder mobile Filialen in Flüchtlingsheimen ein und kooperierten mit Dolmetschern. Broschüren mit den wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema Girokonto wurden in 15 verschiedenen Sprachen aufgelegt und neben einer Reihe von Hilfsprojekten haben die Sparkassen auch bereits einige Flüchtlinge eingestellt. „Doch über unser Engagement hinaus soll es im Rahmen dieser Veranstaltung vor allem um die Anstrengungen der Kommunen und des Landes gehen“, so Schneider. „Schließlich sind es vor allem die Städte und Gemeinden, die die Hauptlast der Integration tragen.“
Michael Geggus, Bürgermeister der Gastgeberstadt Baden-Baden, betonte, dass die ersten Schritte zwar schon getan seien, dass Integration aber als Marathonlauf zu verstehen sei. Dabei verglich er die Kommunen mit Schnellbooten, die aber auf die Unterstützung der Tanker in Form von Bund und Land angewiesen seien. „Ich möchte uns allen Mut machen auf dem steinigen Weg der Integration“, so sein Plädoyer. „Ich glaube, dass wir Integration made in Germany zu einem Exportprodukt machen können.“
Dr. Peter Kulitz, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, meinte: „Sonntagsreden nutzen nichts. Wir müssen jeder einzelne aktiv werden.“ Ganz konkret habe er in seinem Unternehmen eine vakante Hausmeisterstelle mit einem Flüchtling besetzt. „Der beste Weg in die Mitte der Gesellschaft ist Ausbildung und Arbeit“, sagt er. „Arbeit schafft Teilhabe und diese schafft wiederum Identifikation und Integration. “ Die IHKs in Baden-Württemberg setzen momentan elf „Kümmerer“ ein, die junge Flüchtlinge mit Bleibeperspektive betreuen und nach Möglichkeit in Praktika oder Arbeit vermitteln. In einigen hundert Fällen sei dies bereit erfolgreich gelungen. Auch bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse kommt Unterstützung von Seiten der IHK. Übereilten Erwartungen nimmt er aber den Wind aus den Segeln: „Man muss mit mindestens fünf Jahren rechnen, bis die Flüchtlinge Deutsch lernen und eine Ausbildung abschließen“, so Kulitz.
Dass Integration langfristig angelegt sein muss, mühsam ist und viel Geld kostet, darin stimmte ihm Staatssekretärin Bärbl Mielich aus dem Ministerium für Soziales und Integration zu. In diesem Zusammenhang verwies sie auf die 312 Integrationsbeauftragten, die mittlerweile in Baden-Württemberg arbeiten, um die ehrenamtlichen Helfer vor Ort zu entlasten und zu unterstützen. Um Interessen und Initiativen zu bündeln, plädiert sie für den Pakt für Beschäftigung und Integration. „Lokale und regionale Bündnisse sind der Schlüssel dafür, dass es gelingen kann, zu kooperieren und zu kommunizieren“, so Mielich.
Der Tübinger Landrat Joachim Walter, Präsident des baden-württembergischen Landkreistages, formuliert in seiner Rede und auch in der anschließenden Podiumsdiskussion klare Erwartungen an das Land: „Die Kommunen verfügen über Instrumente, um Integration zu beschleunigen“, sagt er. „Dafür erwarten wir aber auch finanzielle Unterstützung.“ Es könne nicht sein, dass es einerseits heiße, die Kommunen sind der Ort, wo Integration stattfindet, „andererseits müssen wir aus der Presse erfahren, dass uns von Seiten der grün-schwarzen Koalition zur Konsolidierung des Landeshaushalts Geld entzogen werden soll, von dem wir einen kleinen Teil im Rahmen eines Pakts wieder zurück bekommen“, so Walter und setzt hinzu: „Wenn wir die Flüchtlinge nicht schnellstmöglich auf dem Arbeitsmarkt integrieren, werden wir für viele Jahre teure Rechnungen zu bezahlen haben.“
Unterstützung bekommt er in seinen Forderungen von Roger Kehle, dem Präsidenten des Gemeindetags Baden-Württemberg: „Mit der Integration der Flüchtlinge geht es darum, eine Aufgabe historischen Ausmaßes zu bewältigen“, so Kehle. „Viele Tausend Flüchtlinge sind schon da, allein 2016 werden noch etwa 30.000 zu uns kommen und da hat niemand Verständnis dafür, dass wir über Monate über Integrationskonzepte diskutieren, dass aber noch kein Ergebnis vorliegt.“ Bei allem Integrationswillen dürften aber vor Ort bereits geplante und notwendige Projekte nicht zurückstehen: „Damit würden wir riskieren, dass die Stimmung innerhalb der Bevölkerung kippt“, betont Kehle.
Schnell Ergebnisse vorlegen – mit diesem Appell rennt er bei Richard Arnold, Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, offene Türen ein: „Kommunen können nicht warten, sie müssen handeln“, sagt er. „Daher ist es wichtig, dass Kommunen und Land rasch zu einer Einigung kommen.“ Ferner plädiert er dafür, die Flüchtlinge vom ersten Tag an einzubinden: „Wir legen Wert darauf, dass die Menschen nicht nur irgendwo ihre Zeit absitzen, sondern sich einbringen. Dafür machen wir ihnen von Seiten der Stadt entsprechende Angebote.“ Gute Erfahrungen habe er beispielsweise mit der Freiwilligen Feuerwehr gemacht, bei der bereits einige Flüchtlinge ehrenamtliche Beschäftigung und vor allem eine Heimat gefunden haben
Auch die Stadt Freiburg zeigt vorbildhaft, wie Integration voran getrieben werden kann. Gutes Beispiel ist das Kompetenzcenter Flüchtlinge, das als zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge eingerichtet worden ist, die auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen möchten. „Wir brauchen aber dringend Unterstützung von Seiten des Bundes und des Landes“, mahnt auch Oberbürgermeister Dr. Dieter Salomon. „Nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern wir brauchen für alle Menschen, die sich nicht selber auf dem Wohnungsmarkt versorgen können, eine Ankurblung des sozialen Wohnungsmarkts mit Hilfe von steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten.“
Dr. Stefan Luft, der in seinem neuesten Buch einen Überblick über Ursachen und Folgen der Zuwanderung gibt, befürchtet, dass die meisten Flüchtlinge trotz aller Versuche einer dezentralen Unterbringung dahin ziehen werden, „wo die ärmsten Inländer wohnen“, so der Bremer Politikwissenschaftler. Diese Konzentration wird zu einer Verschärfung der Situation für die ohnehin benachteiligten einheimischen sozial Schwachen beitragen und zu Spannungen im Land führen. Deshalb spricht er sich für konkrete politische Maßnahmen aus, die das Ziel der sozialen und ethnischen Mischung verfolgen.
Wohnen ist ein wichtiger Aspekt in der Bewältigung des Flüchtlingsstroms, Bildung ein weiterer.
Dr. Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung ging auf die Chancen ein, die sich in Kitas und Schulen aufgrund von Vielfalt eröffnen: „Unsere Erfahrungen zeigen, dass Erzieher und Lehrer mit entsprechender Ausbildung die sprachlichen und kulturellen Unterschiede der Kinder durchaus als Chance begreifen und produktiv beim Lernen nutzen.“ Den meisten Fachkräften fehle aber eine qualifizierte Vorbereitung auf diese Situation, so dass die Robert Bosch Stiftung hier unterstützend ansetze. Aber auch die Kommunen seien gefragt, die Schulen mit weiteren Partnern im Stadtteil zu lokalen Bildungsbündnissen zu vernetzen.
„Bildung ist die schärfste Waffe gegen Terrorismus“. Mit diesen klaren Worten verdeutlicht Uwe Hück, der Vorsitzende des Betriebsrats und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats der Porsche AG, in seiner Abschlussrede einen der Gründe, warum er sich in mehrfacher Hinsicht für Integration stark macht. Und bei ihm ist das durchaus wörtlich zu verstehen. Bereits zweimal ist er in der Vergangenheit unter dem Motto „Blaue Flecke für soziale Zwecke“ gegen ehemalige Profiboxer in den Ring gestiegen. Die Erlöse kamen seiner Pforzheimer Lernstiftung zugute, in der er sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen hilft.
Ob Flüchtling oder Nicht-Flüchtling macht für Hück dabei keinen Unterschied. „Alle Jugendlichen müssen begreifen, dass sie im Leben nichts geschenkt bekommen, sondern dass sie etwas tun müssen, wenn sie etwas erreichen wollen. Es hat keinen Sinn, die Leute in ein Zimmer einzuschließen, wo sie nur frustriert sind, und sie zu Weltmeistern im Langschlafen auszubilden“, sagt er. Aus diesem Gedanken heraus wurde bei Porsche ein Integrationsjahr eingeführt. Im Verlauf von sechs bis zehn Monaten sollen Flüchtlinge im betriebseigenen Ausbildungszentrum Deutsch lernen, die gesellschaftlichen Werte wie die Gleichberechtigung von Frau und Mann vermittelt bekommen und fit fürs Handwerk gemacht werden. „Wer sich aber nicht an die Spielregeln hält, hat ein Problem. Das ist wie beim Fußball“, so Hück.